Ausstellung "Fotografien werden zu Bildern"

Der Titel der Ausstellung lautet: „Fotografien werden zu Bildern“ – damit ist der Kreativität ein weites Feld eröffnet. Zum Einen werden Fotografien selbst ausgestellt. Viel Anregung zu den fotografischen Ideen vermittelte eine Tages-Exkursion des Oberstufenkurses Q2 nach Frankfurt ins Städel-Museum, wo Werke der ehemaligen Studierenden der Becher-Klasse zu sehen waren. Bernd und Hilla Becher erwarben als Künstlerpaar mit ihren Schwarz-Weiß-Fotografien von Fachwerkhäusern und Industriebauten internationales Renommée als Fotografen. Sie begründeten die bekannte Düsseldorfer Fotoschule. Das Künstlerpaar verfolgte das Ziel, Industriebauten zu dokumentieren, die typisch für ihren Entstehungszeitraum und vielfach vom Abriss bedroht waren. Für ihre Dokumentation z.B. von Wassertürmen ist kennzeichnend, dass sechs, neun, zwölf oder mehr Fotografien ähnlicher Objekte in festgelegten Winkeln fotografiert wurden. Dadurch entstanden „Typologien“ industrieller Bauten. Die Fotografien wurden betont sachlich konzipiert. Mehrere hier in der Ausstellung enthaltene Werke gehen auf eigene kreative Weise auf Bechers Vorbild zurück – zum Einen in dieser typologisierenden Art und Weise, zum anderen als Spurensuche in sog. Lost Places, verfallender Architektur als Zeugen einer vergangenen Zeit.

Es entstanden aber auch interessante Fotomontagen, digitale Experimente, Fotoserien, Inszenierte Fotografie, Collagen und Kunstfotografien der sog. Straight Photography. Auch die Mittelstufe ist u.a. mit Collagen und linearen Verfremdungen, die so seit der Pop Art bekannt sind, beteiligt.

Anderen Arbeiten in der Ober- und Mittelstufe diente Fotografie als Inspiration und Lernobjekt für zeichnerisches und malerisches Gestalten. Wir finden hier Bildergänzungen, Übermalungen und Übungen zur Tonwerttrennung. Zeichnerisch entstanden Porträts, deren Gekonntheit in Proportion und Modellierung durch Licht und Schatten frappierend ist. Lernen lässt es sich auch gut, wenn Fotografien um ihre abgeschnittene oder verdeckte Hälfte zeichnerisch wieder komplettiert werden, u.a. als Mimikmasken.

Porträt-Collagen wurden von Fotografien abgeleitet; es entstanden zudem auch beeindruckende Gemälde auf fotografischer Basis – die Fotografie als Hilfsmittel verwendet, aber in eigenem kreativem Prozess umgeformt und angeeignet. Landschaftsmalerei macht die Darstellung von Ferne mit Hilfe von Verblauung als Luftperspektive deutlich, Sinnbilder leben durch das z. T. fotografisch erkundete Motiv und die entsprechenden Ausdrucksfarben.  Filmstills (Standbilder von Filmen) aus Trickfilmen (als die Bilder laufen lernten – hier „Knete in Bewegung) ganz junger KünstlerInnen der Förderstufe sind auch zu sehen.

Auch der kritische Blick auf unsere Welt sollte nicht unerwähnt bleiben. Kindheitserinnerungen, Sehnsüchte, Träume klingen an, die Aufnahmen der lost places Munitionsfabrik Hirschhagen und aufgegebenes Altenheim problematisieren direkt und zugleich subtil eine unheilvolle Vergangenheit und soziale Missstände der Gegenwart. Naturbezug wird als einerseits Ruhe spendend reflektiert – eine heile Welt klingt an – und andererseits wird auf aussterbende Tierarten hingewiesen, die innige Eltern–Kind Beziehung auch bei Tieren beispielhaft thematisiert – endlich sollten wir alle begreifen, dass Tiere in ihren Gefühlen gar nicht so weit von uns Menschen entfernt sind.

Anstatt als Menschheit auf dem Weg der Humanität fortzuschreiten und mit Mitmenschen und der Natur behutsamer umzugehen, flammen in den letzten Jahren mehr Gewalttätigkeit und Terror auf, Umweltschutz droht nebensächlicher zu werden, auch gesellschaftliche Kälte scheint mehr um sich zu greifen, Medien bieten tendenziell betrachtet zu viel Sensation und gleichzeitig Oberflächlichkeit anstatt kulturelle Bildung. Kunst scheint in Anbetracht den Alltag erschütternder Ereignisse zurzeit zurück gedrängt. Es wird weniger Kunst wahrgenommen, gekauft bzw. polarisiert gekauft und Kunst rückt allgemein noch deutlicher in eine Nische.

Kulturelle Bildung und damit auch der künstlerische Blick stärken aber die  Selbstwahrnehmung, Selbsterfahrung, Selbstbegegnung. Der Bedeutungscharakter von Dingen und Werten für die eigene Person kann intensiver erkannt und reflektiert werden. Die Schülerinnen und Schüler üben sich in Verwandlung, Ergänzung, Verfremdung, Inszenierung und kreieren verspielte, phantasievolle Bilder neben der Klarheit von gezieltem und analytischem Beobachten und Aufzeichnen.

„Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen“, sagte Johann Wolfgang von Goethe. Gemeint ist damit meist die Aktivierung der emotionalen intuitiven Kräfte, die dem rationalen Denken und Verbalisieren gegenüber stehen. Indem Phantasie und Emotionalität hier auf der zunächst dokumentarischen Rationalität der Fotografie aufbauen, wird auf spezielle Weise ein Prozess in Gang gesetzt, der tiefere Selbsterkenntnis und eine ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung mit anstößt. Fotografien werden zu Bildern. D.h., dass Fotografien, Realitätsausschnitte und Sichtweisen, bewusst weiter gestaltet werden oder Fotografien bewusst als Hilfsmittel verwendet werden um die eigene Gestaltungsfähigkeit sowie Realitäts- und Selbstwahrnehmung sowie -äußerung zu steigern. Künstlerische Betätigung aber macht auch ruhiger, erfüllter, glücklicher – ein Gegenpol zur manchmal hektischen verwirrenden Welt.

Das Fach Kunst muss in vielfältiger Weise auf die Aufgaben in der Gesellschaft  vorbereiten. Ästhetische Erziehung ist aber nur dann erfolgreich, wenn sich die thematischen Bezüge des Lernens an den altersgemäßen Erfahrungsbereichen, den Interessen und Gefühlen der Schülerinnen und Schüler, insgesamt den altersgemäßen Fähigkeiten, ausrichten.

So werden die übermäßige Versunkenheit der Jugend in Handy und Laptop, in virtuelle Welten, die der intensiven Wahrnehmung der Wirklichkeit entgegen stehen, heute häufig mit Recht kritisiert. Umso wichtiger ist es, dort anzuknüpfen und einen kreativen Umgang mit den digitalen Medien, hier der Digitalkamera und entsprechenden Programmen, aufzuzeigen. Ausgeliefertsein und Überforderung muss durch Wege zur Selbstbestimmung, zur eigenen, zielgerichteten Mäßigung, zu kreativen Entfaltungs- und Nutzungsmöglichkeiten innerhalb des Mediums entgegen gewirkt werden.

Technische Neuerungen und Hilfsmittel wie Internet und Handy sind schließlich durchaus legitim – den Nutzen der einst innovativen Camera obscura, ein dunkler Raum mit einem Loch in der Wand, das auf einer Projektionsfläche auf dem Kopf stehende Bilder erzeugt, erkannte bereits Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr. Vom Ende des 13. Jahrhunderts an wurde die Camera obscura von Astronomen zur Beobachtung von Sonnenflecken und Sonnenfinsternissen benutzt. Der Renaissance-Architekt Brunelleschi benutzte das Gerät bei der Anwendung der Zentralperspektive. Leonardo da Vinci als Universalgenie beschäftigte sich selbstverständlich auf vielfältige Weise damit.

Die transportable weiter entwickelte Camera Obscura wurde von Malern vor der Fotografie gern als Zeichenhilfe genutzt. Man konnte in ihr die Landschaft auf Papier abmalen und dabei alle Proportionen richtig wiedergeben. Bekanntestes Beispiel ist der Maler Canaletto mit seinen Veduten/Stadtansichten, ein Gerät gleicher Bauart benutzte auch Goethe auf seinen Reisen. Und schließlich wurde daraus um 1830 die Fotografie entwickelt, der sich nun alle Welt bedient. Jedes Handy hat heute eine Fotografiefunktion. Aber: Fotografien werden erst zu Bildern, wenn der Mensch geschult, selbstbewusst durchdacht und eigenständig kreativ damit umgeht. Dazu wollen wir beitragen.

Karin Adam

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