JGS-Schüler thematisieren die Warschauer Aufstände 1943/44
Kann es Menschlichkeit auf Seiten der Täter geben? Kann sie Mitschuld an Kriegsverbrechen anderer wiedergutmachen? Dieser schwierigen Frage gingen die Oberstufen-Schülerinnen und Schüler der Jakob-Grimm-Schule nach, als sie sich letzte Woche während eines Projekttags im Fach Geschichte („Gegen Vergessen – für Demokratie“) mit der Besetzung Polens durch die Wehrmacht intensiv beschäftigten. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit den Kriegsverbrechen der Deutschen an der polnischen Bevölkerung stand der jüdische Pianist Wladyslaw Szpilman, der im zerstörten Warschau vom Wehrmachtsoffizier Wilm Hosenfeld vor der Auslieferung bewahrt wurde, so dass ihm das Schicksal seiner Familie erspart blieb, die den Holocaust nicht überlebte. Diese geradezu unglaubliche Begebenheit wurde von Roman Polanski verfilmt („Der Pianist“) und war auch Anlass für den Journalisten Hermann Vinke, eine Biographie des osthessischen Offiziers zu verfassen („Ich sehe immer den Menschen vor mir“, Arche 2015). Durch Vermittlung des ehemaligen JGS Geschichtslehrers Kurt Meyer folgte Herr Vinke bereits zum zweiten Mal der Einladung an die Rotenburger Schule. Im Gespräch mit den Schülern stellte er die biographischen Hintergründe der Person Hosenfelds vor, die durch die Tagebuchaufzeichnungen des Offiziers sowie durch dessen Briefwechsel mit seiner Frau gut dokumentiert werden können. Zuvor wurde den vier Geschichtskursen in der Aula Polanskis Verfilmung gezeigt, über die dann mit dem Hosenfeld-Biographen diskutiert werden sollte. Schon im Vorfeld war am Morgen die Thematik der deutschen Besetzung Polens in vier Themenblöcken arbeitsteilig vertieft worden. Schulleiterin Sabine Amlung dankte Vinke für sein Engagement und zeigte sich beeindruckt von der Biographie des Journalisten, die sich auch aus mehrfachen Begegnungen mit der Ehefrau Hosenfelds speist. Den Schülern wurde dabei deutlich, wie schwierig es für Offiziere war, die nach anfänglicher Begeisterung für den Nationalsozialismus von den menschlichen Tragödien schockiert waren, die sie selbst mit verursacht hatten. Trotz seines Einsatzes für einzelne Polen im besetzten Warschau geriet Hosenfeld in russische Kriegsgefangenschaft und überlebte diese nicht. Haben seine Taten der Menschlichkeit letztlich seine Mitschuld begleichen können, für die er mit dem Leben bezahlte? Eine Frage, die am Ende offen bleiben musste.
Rainer Lehn